Europäische Integration und nationalstaatliche Verwaltung
Deutsche Vereinigung und institutionelle Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft
Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. Dr. h.c. Heinrich Siedentopf
Das Nassauer Gespräch zum Thema "Europäische Integration und nationalstaatliche Verwaltung" fand zu einem Zeitpunkt statt, zu dem das Verhältnis von Gemeinschaft und Nationalstaat bzw. Mitgliedsstaat, dargestellt und diskutiert vor allem an dem Bespiel der Bundesrepublik Deutschland, sich in mehrfacher Hinsicht in einem Umbruch befand. Zum einen wurde bereits seit einiger Zeit eine weitreichende institutionelle Weiterentwicklung der Gemeinschaft diskutiert und vorbereitet, deren Konturen in den Begriffen der Monetären und der Politischen Union noch nicht sehr eindeutig waren, sondern sich in voller politischer und wissenschaftlicher Diskussion mit ungewissen Ausgang - nicht nur bei uns, sondern auch in den anderen Mitgliedsstaaten - befanden. Zum anderen hatte der Mitgliedsstaat Bundesrepublik Deutschland durch die Vereinigung der alten und der neuen Bundesländer eine Umgestaltung erfahren, die bis dahin weder politisch, noch sozialökonomisch, noch institutionell "verkraftet" war. Und schließlich bedeuteten die Veränderungen, die Umwälzungen in den ehemals sozialistischen Staaten und ihre an die Gemeinschaft gerichteten Erwartungen eine bisher noch nicht wirklich erkannte Herausforderung für die Gemeinschaft durch neue Mitgliedschaften oder Assoziierungen.
In den Römischen Verträgen wurde - nach dem Scheiterin weitergehender Ambitionen auf dem Feld einer gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik - die Gemeinschaft auf eine wirtschaftspolitische Zielsetzung festgelegt bzw. begrenzt. Gleichzeitig wurden aber in der Präambel eine politische Entwicklung der Gemeinschaft, ein Integrationsprozeß durch die Vergemeinschaftung öffentlicher Aufgaben der Mitgliedsstaaten und durch die Kompetenzübetragung von diesen auf die Gemeinschaft beschrieben: mit der Bekundung des festen Willens der Regierungen, "die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker zu legen". Angesichts des zunehmenden Souveränitätsverzichts der Mitgliedsstaaten - in Art. 24 GG vorgesehen - und der intensiven Kompetenzwahrnehmung durch die Gemeinschaft - mit neuer Dynamik seit der Einheitlichen Europäischen Akte und mit dem Konzept des Binnenmarktes 1993 versehen - stellte sich die Frage nach der zukünftigen Architektur der europäischen Integration. Von demokratischen und verfahrensmäßigen Defiziten wurde gesprochen; föderale Ausgestaltung und subsidiäre Kompetenzzuweisung sollen die neuen Fixpunkte des Integrationsprozesses sein. Doch: "die Integration ruht auf der Existenz und Wirksamkeit ihrer Gemeinschaftsmitglieder als Staaten" (Hans-Peter Ipsen). Konnten und hatten die Mitgliedstaaten die Aufhebung ihrer Staatlichkeit selbst herbeigeführt?
Auch diesseits solcher Entwicklungsspekulationen ergaben sich genug Aspekte der Integration, die von den Referenten des 5. Nassauer Gesprächs aufgegriffen und debattiert wurden. Dabei orientierte sich dieses Gespräch an institionellen, instrumentellen und verfahrenmäßigen Fragen auf der Gemeinschaftsebene ebenso wie an verfassungsrechtlichen, kompetenzverteilungsmäßigen wie umsetzungsorientierten Problemen in dem Mitgliedsstaat Bundesrepublik Deutschland. Auch dort, wo ein spezielles Politikfeld wie die EG-Medienpolitik oder die Lebensmittelkontrolle behandelt wurde, geschah dies vor dem Hintergrund des sich dynamisch beschleunigenden Integrationsprozesses und vor der Polarisierung der Meinungen, die zwischen politischer und demokratischer Legitimation einerseits sowie ökonomischer und administrativer Effizienz andererseits glaubten wählen zu müssen.
Das 5. Nassauer Gespräch hatte nicht den Auftrag - und auch nicht den Ehrgeiz - zu einer zusammenfassenden, einheitlichen Bewertung des Integrationsprozesses zu gelangen. Es sollte Einzelthemen in einem größeren Zusammenhang diskutieren. Vor allem sollte dieses Gespräch aus den Werkstätten junger Wissenschaftler und Ministerialbeamter berichten und einen Gedankenaustausch zwischen diesen ermöglichen.
(Auszug aus dem Vorwort zum Tagungsband)
Programm
Sektion I: Stufen und Instrumente der Integration
Unitarismus und Föderalismus im künftigen Europa
Stefan Langer (München)
Verordnung - Richtlinie - Entscheidung
Dr. Arno Scherzenberg (Münster)
Auf dem Wege zur europäischen Währungsunion
Dr. Johannes Siebelt (Würzburg)
Sektion II: Integration und mitgliedstaatliche Strukturen
Föderative Staatsstrukturen und Europäisches Gemeinschaftsrecht
Dr. Hermann-Josef Blanke (Bonn)
Möglichkeiten und Grenzen der Beteiligung der Bundesländer an der Gestaltung der europäischen Politik
Dr. Werner Reh (Düsseldorf)
Sektion III: Integration und Kompetenzverteilung
Probleme eines föderalen Staates in der EG aus staatsrechtlicher Sicht
Dr. Elisabeth Dette-Koch (Bonn)
Subsidiarität der EG-Medienpolitik?
Dr. Matthias Pechstein (Bayreuth)
Europäische und nationale Steuerung des Außenhandels
Dr. Armin von Bogdandy (Berlin)
Sektion IV: Gemeinschaftsrecht und seine Umsetzung
Die Anwendung von EG-Recht in den Mitgliedstaaten
Christoph Hauschild (Speyer)
Die dezentrale Kontrolle der Anwendung des Europäischen Gemeinschaftsrechts im innerstaatlichen Rechtsraum
Dr. Christine Langenfeld (Saarbrücken)
Schritte zur Europäisierung der Lebensmittelüberwachung
Dr. Ulrich Becker (Florenz, Italien)
Sektion V: Integration in speziellen Politikfeldern
Die Bedeutung des Gemeinschaftsrechts für den kulturellen Bereich
Matthias Niedobitek (Speyer)
Sektion VI: Deutsche Einigung und Europäische Gemeinschaft
Umsetzung und Ausführung von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaften durch die Länder nach Art. 10 Abs. 3 des Einigungsvertrages
Jörg Ukrow (Saarbrücken)
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