Öffentlicher Abendvortrag: Willi Kaczorowski
Smarte Städte und Regionen - digitale Teilhabe für alle sichern
Vorwort
Das Thema des öffentlichen Abendvortrags „Smarte Städte und Regionen – digitale Teilhabe für alle sichern“ anlässlich der Mitgliederversammlung der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft am 20.10.2016 in Bielefeld hätte aktueller nicht gewählt werden können. Schließlich hatte sich die Bundeskanzlerin erst wenige Tage zuvor mit den Regierungschefs der Länder im Zuge der Verständigung über die Reform der föderalen Finanzbeziehungen auf die Errichtung eines zentralen Bürgerportals in der Trägerschaft des Bundes geeinigt, über das alle Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung – also auch diejenigen der Länder und Kommunen – online zugänglich sein sollen. Das klingt zunächst wie ein großer Wurf und ein wichtiger Schritt in Richtung Digitalisierung, wirft aber auch schwierige verfassungsrechtliche Fragen auf. Wer auf solche Probleme hinweist und etwa deutlich macht, dass ein derartiges Bundesportal nur schwer mit der Ordnung der Kompetenzen im Bundesstaat in Einklang zu bringen ist, sieht sich schnell dem Vorwurf ausgesetzt, Digitalisierung verhindern zu wollen – ein Vorwurf, der auch in der Diskussion im Anschluss an den Vortrag geäußert wurde.
Tatsächlich ist die Digitalisierung ein mühevoller Prozess, der – wenn man die Entwicklung des E-Govern-ment mit der Entwicklung im Bereich der Wirtschaft („E-Commerce“) vergleicht – nur langsam voranschreitet. Ob dazu auch ein fehlendes Verständnis für die Möglichkeiten und Chancen der Digitalisierung, eine mangelnde Dienstleistungsorientierung der Verwaltung oder die nicht vorhandene Bereitschaft beiträgt, die erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, ist keineswegs entschieden. Im Vortrag selbst sowie in der Diskussion klangen solche Vorbehalte an. Mindestens ebenso wahrscheinlich ist es aber, dass das beklagte Ausbleiben schneller Fortschritte bei der Digitalisierung der Verwaltung seine Ursache darin hat, dass manche Dinge im öffentlichen Bereich anders geregelt und organisiert werden müssen als in Unternehmen und dass hier mit gutem Grund andere Vorgaben – einschließlich der bereits erwähnten Zuständigkeitsordnung des Grundgesetzes – gelten, die es angeraten erscheinen lassen, Schritt für Schritt vorzugehen und nicht auf die viel beschworenen disruptiven Innovationen zu setzen, die Kennzeichen der Digitalisierung sein sollen, deren Auswirkungen aber naturgemäß nur schwer abzuschätzen sind. So gesehen würde es sich bei den erwähnten Vorbehalten eher um unzutreffende Vorurteile handeln.
Die nachfolgende, von Dr. Klaus Ritgen erstellte Dokumentation umfasst den Vortrag von Willi Kaczorowski sowie eine Zusammenfassung der sich anschließenden Diskussion. Sie soll die weitere Debatte über das Thema „Digitalsierung“ anregen.
Prof. Dr. Hans-Günter Henneke
Willi Kaczorowski
Smarte Städte und Regionen – digitale Teilhabe für alle sichern
„Smarte Städte und Regionen – digitale Chancen für alle sichern“ ist das Thema des heutigen Abends. Wenn Sie sich beispielsweise in der Bahnhofsbuchhandlung hier in Bielefeld umschauen, dann haben Sie den Eindruck, wir lebten in einem Agrarstaat. Es wird Ihnen das Bild vermittelt, dass es eine große Bewegung hin zur ländlichen Natur und Idylle in Deutschland gebe: „Landlust,“ „Land und Berge“, „Landkind“, „Landzauber“ – so lauten die Titel von Zeitschriften, die Sie da finden. Tatsächlich allerdings erleben wir gegenwärtig im Gegenteil eher einen Run auf die Städte. Die Abstimmung mit den Füßen zeigt etwa die Tendenz, dass insbesondere ältere Leute wieder in die Stadt ziehen, weil dort eine bestimmte Grundversorgung beispielsweise im medizinischen Bereich eher gewährleistet werden kann. Auch Zuwanderer und Flüchtlinge zieht es stärker in die Städte.
Dadurch wachsen auch die Herausforderungen, die Städte meistern müssen: Mehr Einwohner heißt mehr attraktive Wohnraumbereitstellung.
Mehr Einwohner heißt mehr Verkehr. Durch welche Verkehrsträger dieser Bedarf letztlich auch immer gedeckt wird, wir erleben bereits jetzt, dass die herkömmliche (unintelligente) Verkehrsinfrastruktur am Limit angekommen ist. München plante im Jahre 1972 eine U-Bahn für 250.000 Menschen, die heute von 850.000 Menschen genutzt wird.
Mehr Einwohner heißt höherer Energiebedarf und damit natürlich auch eine Verschärfung der CO2-Problematik. Und mehr Einwohner stellen in manchen Städten bereits jetzt den sozialen Zusammenhalt in Frage.
Auf diese Herausforderungen will das Paradigma der Smart City antworten.
Systematische Annäherung an das Paradigma der Smart City
Vor zwei Jahren befragte der VDE die Bürgerinnen und Bürger: „Können Sie mit dem Begriff ‚Smart City‘ etwas anfangen?“ 84 Prozent haben gesagt: „Nein, ich kann mit diesem Begriff nichts anfangen.“ Aber zugleich haben 64 Prozent gesagt, sie könnten sich vorstellen, in einer Smart City zu leben! Das heißt, wir haben es mit einem immer noch positiv besetzten Begriff zu tun, weil es letztlich die Zukunftschance ist für mehr Aufenthaltsqualität, für mehr Lebensqualität und für mehr Arbeitsqualität in den Städten.
Eines der Probleme von Smart Cities ist, dass es kaum eine Definition gibt, auf die sich alle verständigen können. Das hängt sehr stark damit zusammen, dass mit der Begriffsdefinition unterschiedliche Interessen verbunden sind. Deswegen wähle ich jetzt den Königsweg und befrage Wikipedia - die Enzyklopädie des Internets. Danach ist „Smart City“ der Sammelbegriff für gesamtheitliche Entwicklungskonzepte, die darauf abzielen, Städte effizienter, technologisch fortschrittlicher, grüner und sozial inklusiver zu gestalten.
Im Laufe der letzten Jahre hat sich jedoch herausgestellt, dass dieses Konzept sehr stark interessengeleitet ist. Im Wesentlichen lassen sich drei Interessen voneinander unterscheiden, aus denen sich Handlungsimpulse ergeben.
Der Ansatz der Ökologen und „Energiewender“
Da ist erstens der Handlungsimpuls, der von den Ökologen und von den „Energiewendern“ ausgeht. Hier geht es darum, die Smart City so zu gestalten, so zu bauen, dass Ressourceneffizienz und dezentrale Energieversorgung im Mittelpunkt stehen, die Forderung nach der klimaneutralen Stadt unterstützt und das Pariser Klimaschutzabkommen auch in den Städten umgesetzt wird. Die Handelnden, die diesen Handlungsimpuls gesetzt haben, sind oft Stadtwerke. Die Wiener Stadtwerke waren einer der Vorreiter der europäischen Smart City Bewegung.
Der Ansatz der „Systemverbesserer“
Der zweite Handlungsimpuls kommt von den „Systemverbesserern“. Das sind diejenigen, die die traditionellen Infrastruktursysteme, die in den Städten bestehen – Wasser, Energie, Verkehr, Abfall und dergleichen mehr –, die wir klassisch unter dem Stichwort Daseinsvorsorge diskutieren, untereinander vernetzen wollen. Sie sollen auf eine gemeinsame Plattform gebracht werden, so dass man daraus gemeinsame Daten erzeugen kann, die ausgewertet bzw. analysiert und dann entsprechend eingesetzt werden können, um Vorhersagen zu treffen. Das ist das Spielfeld der Technologieunternehmen wie Cisco, IBM, Schneider Electronics, Siemens. International haben sie bereits eine Reihe von Städten wie Barcelona, Kopenhagen oder Stockholm davon überzeugt, dass das die Richtung ist, die sie einschlagen sollen.
Der Ansatz der „Demokratieförderer“
Der dritte Handlungsimpuls für die Smart City kommt von den „Demokratieförderern“. Er kommt von denen, die sagen, wir brauchen eine neue städtische Governance, die durch Technologie unterstützt wird. Technologie macht es möglich, dass sich der Bürger auch als Sensor verstehen kann, weil er über sein Smartphone Befindlichkeiten, Meinungen, Einschätzungen, Hinweise sofort mit der Verwaltung kommunizieren kann.
Zu dieser neuen städtischen Governance gehört auch die Forderung nach stärkerer Transparenz und erhöhter Partizipation. Digitalisierung ist ein wesentliches Werkzeug für Transparenz. Darüber hinaus müssen die fachlichen Silos, die überall in der Verwaltung existieren – für Bildung, für Soziales, für Gesundheit, für Verkehr – untereinander stärker verzahnt werden. Stellen Sie sich vor, Sie sind im städtischen Straßenraum und es ereignet sich ein schwerer Unfall. Noch am Unfallort wird die entsprechende Situation in bestem LED Licht aufgenommen, eine Kamera überträgt die entsprechende Unfallsituation an das örtliche Krankenhaus. Das örtliche Krankenhaus bereitet den OP-Saal sofort vor und wenn der Krankenwagen eintrifft, kann die Operation sofort eingeleitet werden, ohne dass es Verzögerungen gibt. Das ist diese Kette, die man in den smarten Städten aufbauen will, in dem man die fachlichen Silos aufhebt und über eine gemeinsame Plattform Daten in Echtzeit erhebt und analysiert. Diejenigen, die diesen dritten Aspekt fördern, sind Oberbürgermeister wie z.B. Gunter Czisch aus Ulm oder Bürgermeister Hans-Josef Vogel aus Arnsberg.
Die Herausforderungen der Städte
In Smart Cities sollen vier Herausforderungen bewältigt werden. Dazu gehören
die Gestaltung des demografischen Wandels,
die soziale, finanzielle und ökologische Nachhaltigkeit,
die Notwendigkeit zur gesellschaftlichen Kohäsion und
die systematische Verfolgung der Ziele der Standort- und Innovationsförderung.
Meiner Meinung nach können diese Ziele durch innovative Technologien besser erreicht werden. Obwohl Technologieeinsatz kein Selbstzweck sein darf, hat er jedoch einen wesentlichen Anteil an der Art und Weise, wie wir das Gemeinwesen in den nächsten Jahren gestalten werden. Lassen Sie uns deshalb einige wichtige Technologietrends anschauen.
Technologietrend: überall Internet
Das erste Stichwort ist natürlich das „allgegenwärtige Internet“. Wir sind bundesregierungsoffiziell ja immer noch auf der Linie, dass wir sagen, im Jahre 2018 hat jeder Bürger mindestens 50 Mbit/s zur Verfügung. Es sieht gegenwärtig danach aus, dass wir dieses – im internationalen Kontext eher unambitionierte – Ziel verfehlen werden. Während wir über 16, 32 und 50 Mbit/s diskutieren, hat Südkorea gerade angekündigt, dass es dort in den nächsten Jahren nur die Variante zwischen 1 Gbit/s und 10 Gbit/s geben wird. Da gibt es für uns eine große Lücke, die wir international zu überwinden haben.
Das allgegenwärtige Internet wird überall verfügbar – egal ob in unserer Kleidung oder in unseren kleinen Geräten, die wir alle in der Hosentasche haben, also über unsere Smartphones oder über smarte Uhren.
Freies WLAN wird möglich machen, dass das Internet dann für jeden frei verfügbar sein wird – ohne große Kostenfallen und soziale Barrieren. Wenn ich die Digitalisierung für alle sichern will, dann muss ich dafür entsprechende Strukturen schaffen.
Technologietrend: Big Data
Zweites Stichwort: Big Data, Internet der Dinge und Sensoren. Momentan haben wir ca. 2 bis 3 Milliarden Geräte untereinander vernetzt. Wir wissen aber, dass das Internet der Dinge die Möglichkeit geben wird, jedes einzelne physische Objekt miteinander zu vernetzen, indem man ihm nämlich eine sogenannte IP-Adresse zuweist und es damit steuerbar macht. Dann kann das eine Gerät mit dem anderen kommunizieren und in Echtzeit Daten austauschen. Bis 2020 sollen mindestens 50 Milliarden Geräte – manche sagen bis zu 90 Milliarden Geräte – untereinander vernetzt werden.
Mit dem Internet der Dinge ist verbunden, dass ich eben nicht nur die IP-Adresse anbringen und damit das einzelne Gerät steuerbar machen kann, sondern auch sehr viel mehr Daten haben werde. Das ist das Stichwort Big Data. Big heißt ja dick, schwer, viel. Wir werden wesentlich mehr Daten haben, weil diese Daten in allen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Bereichen erzeugt werden. Ob das Dateien, Videos, Sprachnotizen, Postings aus sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter sind etc., alles wird auswertbar. Und weil alles auswertbar wird, kann man bestimmte Trends ermitteln und daraus Vorhersagen als Prognoseinstrumente für politisches und administratives Verhalten ableiten.
Technologietrend: Robotik und künstliche Intelligenz
Das letzte Stichwort heißt „Robotik und künstliche Intelligenz“. Nehmen Sie das iPhone als Beispiel. Wer von Ihnen hat so ein intelligentes Gerät? Und wer spricht mit ihm regelmäßig? Das hat uns ja eine gewisse Überwindung gekostet, plötzlich mit einem Gerät zu reden. „Siri, wie ist das Wetter heute? Brauche ich einen Regenschirm“? Und dann sagt sie mir: „Nein, brauchst du nicht, weil morgen die Sonne scheint“. Es ist ja nicht so, dass die Dame in unserem Endgerät drin ist. Vielmehr greift das Smartphone auf die Intelligenz im Netz zurück und erzeugt über Algorithmen Antworten, die immer weiter verfeinert werden.
Immer mehr dazu lernen werden auch die Roboter. Die Roboter waren bisher dumm. Sie waren von Menschen programmiert und konnten deshalb auch nur so schlau sein, wie die Menschen waren, die sie programmiert haben. Das verändert sich, weil Robotik aufgrund von Maschine-zu-Maschine-Kommunikation selbstlernend sein wird. In den Fabriken werden zwar heute noch klassische Roboter im Produktionsprozess eingesetzt, die keine Menschen um sich herum zulassen: In dem Moment, wenn sich ein Mensch nähert, stoppt der Roboter und macht nichts mehr. Zunehmend haben wir nun aber auch den anderen Robotertyp, der erkennt, dass Menschen in der Nähe sind, dass Menschen mit ihnen kommunizieren wollen, und sie passen ihr Verhalten darauf an, sodass Menschen und Roboter im Produktionsprozess zusammenarbeiten.
Es gibt aber auch gesellschaftliche Einrichtungen, die ihren Beitrag dazu leisten wollen, dass Digitalisierung bei allen ankommt. Ein Beispiel sind die sogenannten „godspots“, das freie WLAN der Evangelischen Kirche. In Berlin und Brandenburg werden die Kirchtürme genutzt, um Access Points, also Zugangspunkte anzubringen, damit Menschen in dieser Umgebung freien Internetzugang haben.
Soweit die erste systematische Annäherung an das Paradigma der Smart City.
Digitale Nutzung und veränderte Kundenerwartungen
Digitale Nutzung verändert aber auch die Kundenerwartungen. Schauen wir uns zunächst einmal an, wie die digitale Nutzung in Deutschland derzeit aussieht.
Zahlen zur digitalen Nutzung
Eine der zuverlässigsten Quellen ist aus meiner Sicht die ARD-/ZDF-Online-Studie, die schon seit zehn Jahren durchgeführt wird. Das Ergebnis 2016, das vor 14 Tagen veröffentlicht wurde, ist recht ermutigend.
Die Nutzung digitaler Medien ist weiter angestiegen. 84 Prozent der Menschen sagen: Ich nutze sehr häufig oder häufig internetbasierte Möglichkeiten.
Der zweite Trend ist, dass das Smartphone den Laptop ablöst. Das Smartphone ist heute das wichtigste Zugangsgerät für die digitale Nutzung, weil es die Kommandozentrale des digitalen Lebens geworden ist.
Der dritte Trend ist, dass Senioren zunehmend online sind. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass bei diesen die Luft nach oben ein bisschen größer ist als bei Jugendlichen zwischen 12 und 24 Jahren, wo schon 96 Prozent online sind. Bei Senioren sind es jetzt jedoch auch schon 54 Prozent. Und wenn man diesen Trend fortschreibt, dann bedarf es nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass Alten- und Pflegeheime oder seniorenbezogene städtische Infrastrukturen künftig anders als heute aussehen müssen und werden.
Meine Mutter ist jetzt 83 Jahre alt und lebt in einem Altenwohnheim. Vor zwei Jahren hat sie mich mit einer Frage überrascht. Sie hat gesagt: „Ihr wisst ja, ich höre nicht mehr so gut. Und wenn wir miteinander telefonieren, dann erahne ich eigentlich immer nur, was ihr wollt. Ich höre nur Bruchstücke. Es gibt doch die Möglichkeit, dass man sich auch sieht, wenn man miteinander am Telefon spricht.“ Also haben wir ihr einen Breitbandanschluss in ihrem Altenwohnheim eingerichtet. Sie ist damit die Vorreiterin in ihrem Heim. Nun nutzt sie regelmäßig Facetime von Apple und nimmt wieder stärker an unserem Leben teil.
Ein Problem ist allerdings jedes Software Update, das sie völlig verunsichert, weil sie nicht mehr weiß, was sie tun soll. Dann braucht sie Hilfe. Bisher kommt diese Hilfe von meinem 23-jährigen Neffen. Wenn er aber nach seinem Studium Bochum wahrscheinlich verlassen wird, ist sie ist alleine. Und deshalb müssen wir, wenn wir diese Digitalisierung für alle möglich machen wollen, eine Assistenz-Infrastruktur aufbauen. Deshalb sollte das „Freiwillige digitale Jahr“, das der Bundestag vor zwei Jahren angeschoben hat und zu dem es immerhin schon zwei Pilotprojekte in Deutschland gibt, schnell ausgebaut werden. Es ist ein wesentliches Instrument, das helfen wird, dass digitale Technologie auch von älteren Menschen genutzt werden kann.
Die Kundenerwartungen
Wie sehen die Kundenerwartungen aus? An erster Stelle steht die Erwartung, „always on“ zu sein. Dazu gehört ein schneller und leistungsfähiger Internetanschluss. Wenn ich ein Hotel buche, ist für mich die wichtigste Voraussetzung, dass ich im Hotelzimmer ein schnelles WLAN vorfinde. In Wohnungsinseraten finden wir bereits jetzt die Überschrift: „Wohnung mit 200 Mbit/s“. Auf diese Weise wird die Wohnung attraktiver und teurer. Sie ist begehrter, weil ein stetig steigender Teil der Bevölkerung „always on“ sein will.
Zu den Kundenerwartungen gehören auch digitale Prozesse, die aus Kundensicht anstatt aus der Sicht der Verwaltung gestaltet werden. Der Kunde will schnell, einfach und sicher bestimmte Dienstleistungen bekommen. So etwa auch beim Projekt „Kfz-online“. Eigentlich könnte man ein lebenslanges Kennzeichen schaffen, das digital vorhanden ist. Auf ein physisches Kfz-Kennzeichen könnte man verzichten. Polizisten hätten dann eine Laserpistole, mit der sie bei begründetem Verdacht das elektronische Datum ablesen könnten und dergleichen mehr. Alle diese Diskussionen sind ja geführt worden. Soweit ich mich noch erinnern kann, war es vornehmlich die Kfz-Schilder-Industrie, die maßgeblich dazu beigetragen hat, dass solche Lösungen, die im Ausland durchaus existierten, nicht verwirklicht worden sind.
Viele Formulare können heute bei Berücksichtigung der Lebenssituation des Antragstellers personalisiert und auf ihn zugeschnitten werden. Die Zeiten des „One Size fits all“ sollten wir ad acta legen.
Drittens gehört zu den Kundenerwartungen der viel diskutierte Multikanalzugang. Mit der einheitlichen Behördenrufnummer 115 haben wir vor 7 Jahren einen neuen Kanal geschaffen, der aber bisher nicht weiterentwickelt wurde, obwohl heute die 115 völlig neu designed wurde. Man würde wahrscheinlich anstelle eines großen Wissensmanagementsystems mit verbundenen Call Centern Chatbots einsetzen. Entscheidend ist ja nicht, dass der Bürger mit den Menschen am Telefon spricht, sondern dass der Bürger seine Auskunft schnell und rechtsverbindlich bekommt, damit er mit der Verwaltung interagieren kann.
Und der letzte Aspekt bei Kundenerwartungen ist die „Transparenz und Beteiligung“. Digitalisierung macht es möglich, in Echtzeit Daten aufzunehmen und Fragen zu beantworten wie beispielsweise: Wie ist die Umwelt-, die aktuelle Luftbelastungssituation? Wie sieht es gerade im Verkehrsbereich aus? Fährt die Bahn oder wie lang sind die Wartezeiten im Bürgeramt? Diese Antworten bekomme ich heute digitalisiert, wenn ich eine entsprechende Plattform aufgebaut habe.
Vor wenigen Jahren haben sich junge Bürger in Frankfurt zusammengetan und die Plattform „Frankfurt gestalten“ geschaffen. Es ist ein tolles Instrument, weil Kommunalpolitik plötzlich transparent und erfahrbar wurde. Sie schauen sich dort die Tagesordnungen für die örtlichen Vertretungen an und visualisieren, für welchen Stadtteil Frankfurts das von Belang ist. Und plötzlich ist Kommunalpolitik spannender geworden, weil Menschen gemerkt haben: Das betrifft mich! Die Entscheidungen, die da getroffen werden, betreffen mich in meiner jeweiligen Situation.
Beispiele für smarte Anwendungen
Wenn die Städte smart werden sollen, dann müssen sie einige Handlungsfelder adressieren. Abhängig von den Zielen städtischen Handelns gehören dazu Verwaltung und Politik, Bildung, Wertschöpfung, Mobilität, Gesundheit, Pflege, Umwelt und Energie – also eigentlich alle klassischen städtischen Handlungsbereiche, die die Lebensqualität, die Arbeitsqualität und die Aufenthaltsqualität in einer Stadt verbessern helfen.
Bespiel „Smarte Verwaltung“
Ein Anwendungsbeispiel ist die smarte Verwaltung. Dieses Beispiel hat auch etwas mit dem Stichwort „Entörtlichung“ zu tun.
Im dänischen Kreis Guldborgsund gab es eine große Gebietsreform, bei der alle Verwaltungsstellen aufgelöst wurden. Trotzdem hat man dort die Möglichkeit gefunden, die Dienstleistungen weiterhin anzubieten, in dem systematisch auf Videoeinsatz gesetzt wurde. Die Dienstleistung blieb die gleiche und wird jetzt von einer zentralen Stelle erbracht. Dieses Zentrum ist verbunden mit den Außenstellen. Diese haben zwar kein eigenes Personal mehr vor Ort, aber die Bürger haben die Möglichkeit, über Videokonferenzen mit den jeweiligen Bediensteten der Stadt zu kommunizieren.
In Deutschland haben wir diese Beispiele auch. Der „Digitale Bürgerkoffer Berlin“ wurde vor zehn Jahren im nationalen E-Government-Wettbewerb ausgezeichnet, hat danach wenig bis keine Resonanz bei anderen Kommunen gefunden und wird jetzt gerade wiederbelebt. In eine ähnliche Richtung ging das Videoterminal in Sachsen als Pilotprojekt, das vom BMI gefördert wurde.
Aber wir stehen immer vor der gleichen Situation: Wir sind das Land der Pilotprojekte, aber wir bekommen wenig in den flächendeckenden Roll-out!
Digitale Dörfer
Mein zweites Beispiel geht über die Stadt hinaus und spielt im ländlichen Raum. Idealtypisch und polarisierend lassen sich deutliche Unterschiede zwischen den Städten und deren Problemen und dem ländlichen Raum und seinen spezifischen Herausforderungen aufzeigen: Wird bspw. für die Städte eine Wohnungsknappheit diagnostiziert, heißt es von den ländlichen Räumen, dort herrsche ein Wohnungsüberangebot. Umgekehrt ist von einem Ärztemangel auf dem Lande die Rede, während es in den Städte sogar ein Zuviel an Ärzten geben soll. Die Aufzählung lässt sich fortsetzen.
Die Landesregierung in Rheinland-Pfalz jedenfalls hat erkannt, dass es kein Naturgesetz ist, dass Menschen ihre angestammte Umgebung verlassen müssen, weil sie keine vernünftige, adäquate Versorgungsinfrastruktur mehr in ihrem Dorf vorfinden. Deshalb wurde von der rheinland-pfälzischen Landesregierung das Projekt „Digitale Dörfer“ ins Leben gerufen.
In einem Wettbewerbsverfahren wurden in Rheinland-Pfalz drei Dörfer – Betzdorf sowie Eisenberg und Göllheim – ermittelt, die mit Hilfe der Digitalisierung smart werden wollen. In der ersten, gerade abgeschlossenen Phase, ging es darum, Nahversorgungs- und Logistikprozesse zusammenzubringen.
Stellen Sie sich vor, Sie sind örtlicher Einzelhändler mit einem begrenzten Warenangebot. Dieses Warenangebot wird aber nicht mehr so nachgefragt, weil entweder die Bevölkerung das Dorf verlassen hat oder nicht mehr so mobil wie früher ist. Also wurde den örtlichen Einzelhändlern angeboten, ihre Waren auf eine örtliche Online-Plattform zu stellen – quasi das örtliche Amazon, wenn Sie so wollen. Das war dann die sogenannte „Bestellbar“. Wenn nun eine Dorfbewohnerin einkaufen wollte und nicht mehr gut zu Fuß war, dann konnte sie ins Internet gehen, anschauen, welche regionalen Produkte angeboten wurden und per Mausklick bestellen.
Doch um die bestellte Ware auch ausgeliefert zu bekommen, musste auch ein Logistikvorgang ausgelöst werden.
Dieser Logistikvorgang wurde in diesen digitalen Dörfern über Freiwillige organisiert. Die App „Lieferbar“ brachte den Bestellvorgang und die Bestellerin mit den Freiwilligen, die die Waren mitnehmen und ausliefern wollten, zusammen. Diese Lieferbar wurde der Schlüssel zur Entwicklung einer digitalen Dorfgemeinschaft: „Mitmach-Gesellschaft 2.0“ hat die Ministerpräsidentin unlängst dazu gesagt.
Nun stellt sich die Frage nach den Incentives für denjenigen, der jetzt für Oma Müller die bestellten Karotten auslieferte. Der bekommt – das ist der dritte Schritt gewesen – den „Digi-Taler“. Der „Digi-Taler“ ist wiederum ein Tauschprodukt, das er für andere Dienstleistungen in der „Tauschbar“ einsetzen kann. Somit verzahnen sich im Projekt „Digitale Dörfer“ Echtzeitdaten, Cloud-Dienste und soziale Netzwerke zu einem Projekt. Nunmehr wollen auch andere Landesregierungen wie Bayern oder das Saarland ähnliche Projekte aufsetzen.
Meine Damen und Herren, alle diese Beispiele handeln bereits in der Gegenwart und zeigen, dass Digitalisierung im Alltag angekommen ist.
Blick in die Zukunft
Es bleibt aber gleichwohl noch viel zu tun. Das zeigt bspw. ein Blick auf den Entwurf des E-Government-Gesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen. Dort heißt es wörtlich: „Verwaltungsabläufe der Behörden des Landes sollen spätestens bis zum 31. Dezember 2030 auf elektronischem Weg abgewickelt und entsprechend gestaltet werden.“ Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass wir offensichtlich doch noch erhebliche Arbeit haben und unsere Geschwindigkeit signifikant steigern müssen, wenn es darum geht, die Digitalisierung für alle möglich zu machen – egal, ob das in smarten Städten oder in smarten Regionen ist.
Diskussion
Die anschließende lebhafte Diskussion, an der sich zahlreiche Mitglieder der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft sowie weitere Gäste der mit Unterstützung der KPMG durchgeführten Veranstaltung beteiligten, machte deutlich, wie spannungsgeladen das Thema „Digitalisierung“ wahrgenommen wird.
Das gilt bereits für den Titel des Vortrags, den Prof. Dr. Hans-Günter Henneke als Vizepräsident der Gesellschaft eingangs als missverständlich bezeichnet hatte, da es „Regionen“ als Gebietskörperschaften, die Verwaltungsleistungen erbringen, nicht gebe. Willi Kaczorowski dagegen verteidigte seine Wortwahl. Es gehe ihm gerade auch darum, deutlich zu machen, dass Digitalisierung nicht an den örtlichen Grenzen der Gebietskörperschaften halt mache und der Begriff „Region“ daher möglicherweise einen neuen Bedeutungsgehalt bekommen werde.
Ein Schwerpunkt der Diskussion bildete die Frage, warum die Digitalisierung – namentlich im Bereich der Verwaltung – nicht schneller voranschreitet. Karl Peter Brendel vermutete insoweit ein Kommunikationsproblem; nach seinem Dafürhalten sprechen die – von Kaczorowski so bezeichneten – „digitalen Evangelisten“ nicht dieselbe Sprache wie die Praktiker in den Verwaltungen, die für die Umsetzung sorgen sollen. Wie im Vorwort schon erwähnt, wurden aber auch weitere Faktoren angesprochen, also etwa eine (angeblich) fehlende Dienstleistungsorientierung der Verwaltung.
Wichtiger als eine solche Aufzählung von Defiziten, über deren Ursachen man vertieft nachdenken müsste, dürfte sein, dass auch einzelne Schlaglichter auf die Potenziale von Digitalisierung, nicht zuletzt für den ländlichen Raum geworfen wurden. Das Projekt „Digitale Dörfer“ etwa hat deutlich gezeigt, wie mit Hilfe intelligent eingesetzter digitaler Instrumente Lebensqualität im ländlichen Raum erhalten und verbessert werden kann. Kaczorowski prägte dafür in der Diskussion den sprechenden Begriff „Dableibensvorsorge“ und traf damit einen wichtigen Gesichtspunkt, wurde im Übrigen aber für seine recht negative Darstellung der Verhältnisse im ländlichen Raum auch kritisiert.
Welche Auswirkungen die Digitalisierung in der Zukunft im Einzelnen haben wird, bleibt abzuwarten und lässt sich nur schwer prognostizieren. Detlev-W. Kalischer etwa sprach mögliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt an und stellte die Frage, wie das zu erwartende Wegbrechen von Arbeitsplätzen sozial aufgefangen werden könnte. Tatsächlich dürfte es sich so verhalten, wie Henneke es am Ende auf den Punkt brachte, als er zwei Sätze des Historikers Andreas Rödder aus dessen Rede auf der Veranstaltung zum hundertsten Jahrestag der Gründung des Deutschen Landkreistags am 9.9.2016 im Berliner Abgeordnetenhaus zitierte: Die Zukunft wird immer anders, als man denkt. Und: Die Zukunft wird ganz anders, als man sich das heute vorstellen kann.
Willi Kaczorowski
Willi Kaczorowski ist Strategieberater und Buchautor.Er wohnt und arbeitet in Berlin. Er entwickelt und berät zu Strategien für digitale Transformation von Staat und Verwaltung und sieht sich als Brückenbauer zwischen öffentlicher Verwaltung und Wirtschaft.
Fotorechte: W. Kaczorowski
Programm
18:00 Uhr | Empfang
18:30 Uhr | Begrüßung
Hendrik Koch | Partner Audit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Prof. Dr. Hans-Günter Henneke | Vize-Präsident der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft e.V.
18:45 Uhr | Vortrag mit anschließender Diskussion
Willi Kaczorowski | Strategieberater und Buchautor
20:00 Uhr | Imbiss
Die Veranstaltung wurde mit freundlicher Unterstützung der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft im Lessinghaus zu Bielefeld durchgeführt.
Die Dokumentation des Vortrags im pdf-Format finden Sie hier:
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